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    Es geschehen noch Zeichen und Wunder!

    Flensburg archiviert die Verkehrssünder, in Karlsruhe tagt das Bundesverfassungsgericht, auf Schalke thront hoffentlich der neue deutsche Fußballmeister und in Mainz residiert das Deutsche Kabarettarchiv. Dank eines löblichen Dezentralismus befindet sich das deutsche Kabarettarchiv eben nicht in den „logischen Zentren“ Berlin oder München, sondern in der sogenannten Provinz.

    Provinz ist ja keine Frage der Geografie, sondern der Mentalität. Auch die Eidgenossinnen & -genossen haben das begriffen. Ergo finden wir  das Schweizerische Kabarettarchiv  nicht in Zürich, sondern in Thun am See.

    Und logischerweise finden wir das Österreichische Kabarettarchiv (ÖKA) seit dem 1.April 2001 nicht in Wien, sondern in Graz!

    Zweifellos ist Wien (das einzige Großdorf Österreichs) der Nabel des österreichischen Kabaretts. Hier hat das österreichische Kabarett begonnen und in den Zwanziger Jahren einen ersten Boom erlebt. Hier etablierte sich nach dem brutalen Kahlschlag durch die Nazibarbarei in den fünfziger Jahren das legendäre Bronner- Qualtinger- Kreisler-Triumvirat; und hier finden sich auch heute noch die bekanntesten österreichischen Kabarettisten (dass die meisten Wiener Stars aus der „Provinz“ zugewandert sind, steht auf einem anderen Blatt).

     Die steirische Landeshauptstadt Graz, das zweitgrößte Dorf der Alpenrepublik beherbergt allerdings auch  eine interessante Kabarett-Szene: In den letzten Jahren konnten vier steirische Kabarettisten den Salzburger Stier einheimsen: Leo Lukas, Irene S., Martin Puntigam und Alf Poier. Alf, der Obersteirer hat ja in den letzten Jahren so ziemlich alle namhaften Preise abgeräumt.

    Wenn wir uns vor Augen halten, dass München mehr Einwohner hat als die Steiermark, ein beachtliches Zeichen alpiner Kreativität. Mitverantwortlich für diesen Boom ist  auch der Verein zur Förderung der Kleinkunst im Theatercafe! Dortselbst sind nicht nur alle Größen der heimischen Szene oft und gerne aufgetreten, dort findet auch alljährlich der Wettbewerb um den Grazer Kleinkunstvogel statt, der Michael Mittermaiers Kommode ziert und auch bei Mike Supancic und Martin Puntigam am Kastl steht. Alf Poier wurde seinerzeit „nur„ Zweiter...

    Im Grunde ist es fast zweitrangig, wo sich das Österreichische Kabarettarchiv befindet, Hauptsache die vielfältige und durchaus eigenständige Kabarettgeschichte Österreichs hat endlich eine Institution! Und in Graz ist die kulturpolitische Konstellation dafür günstiger als anderswo.

    Dank der exzellenten Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Graz und dem Grazer Bürgermeister konnten wir innerhalb von zwei Jahren erreichen, was in Österreich schon längst fällig war: die Einrichtung einer Institution, die die  wunderbare Welt der österreichischen Kleinkunst allgemein zugänglich macht und wissenschaftlich aufbereitet.

    Glücklicherweise lebt in Graz mit Dr.Iris Fink eine Persönlichkeit, die über die steirische Kleinkunstszene dissertiert hat, der Verein zur Förderung der Kleinkunst im Theatercafe jahrelang erfolgreich geleitet hat und in der österreichischen Kabarettszene einen ausgezeichneten Ruf genießt. Kürzlich erschien ihr Standardwerk über die österreichische Kabarettszene im Styria-Verlag: „Von Travnicek bis Hinterholz 8„. Der Geschäftsführerin des ÖKA ist die wissenschaftliche Archivarbeit vertraut und die „immerwährende Neutralität„ selbstverständlich.

    Die Kollegen aus der Schweiz und Deutschland betrachten das Österreichische Kabarettarchiv erfreulicherweise als wichtige Ergänzung eines D-A-CH-Verbands (D für Deutschland, A für Austria, CH für Confoederatio Helvetica), der den gesamten deutschsprachigen Raum abdecken soll.

    Schwerpunkt des ÖKA ist natürlich das österreichische Kabarett in allen Erscheinungsformen unter besonderer Berücksichtigung der alten mitteleuropäischen Zentren Wien-München-Prag-Brünn-Budapest.

    Wer das ÖKA in materieller oder ideeller Form unterstützen will, möge das bitte tun: das Büro des ÖKA ist von Dienstag bis Freitag von 10-14 Uhr besetzt und telefonisch unter 0043/316/716311 erreichbar.

    E-Mail:kabarettarchiv@aon.at

    Eine Homepage ist im Aufbau.

    Jörg-Martin Willnauer

     

    2001-06-15 | Nr. 31 |





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