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  • Szenen Regionen :: Frankreich

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    Starke Persönlichkeiten für die Menschlichkeit

    Bei allem Konformismus im Kunstbetrieb trifft man doch immer wieder auf Originale, die sich keiner Leitästhetik unterordnen und einen ganz persönlichen Weg gehen. Dazu gehören drei Performer, die zwar nicht allein auf die Bühne gehen, dort aber klar die Hauptrolle spielen.   

    Der Anarchist

    Er nennt sich Le Hors-humain – der Außermenschliche. Sich selbst verstoßend aus einer Menschheit von der er so schwer enttäuscht ist und die er doch nicht völlig aufgibt. Einer seiner intimsten Feunde ist angeblich einer der Elefanten im Zoo von Vincennes. Sein Traum ist, in Deutschland aufzutreten und das liegt nahe. Aus zwei Gründen. Der Schock : Der Mann kam im KZ zur Welt, Vater und Mutter waren getrennt und auf verschiedene KZ verteilt. Und zweitens : Der Stil seiner Performance ist eine Art Thea-k-ter wie bei Antagon, aber im Kleinformat. Le Hors-humain wählte einen Weg zwischen Kampfsport, Poesie und Happening. Hängte poetisch-provokative Transparente auf die Dächer von Paris und machte dazu waghalsige Turnübungen. Sprang in den Fjorden drei mal vom Hubschrauber ins –2° kalte Wasser und brach den Weltrekord im Polarbaden. Seine anarchische Performance auf den Seinebrücken ist inzwischen so bekannt, dass die Polizei ihn gewähren läßt. Wenn er im Saal mit seiner Inszenierung auftritt, spielt er mit brennenden Fackeln, die er sich wie Honig über den Körper streicht, wenn er sich nicht gerade drei Betonplatten auf den Bauch schichten läßt oder wie wild auf einer Orchesterpauke reitet. Dabei rezitiert er seine Poesie, mal verzweifelt, mal satirisch, von der er jedes Wort selber schreibt. Als völliger Autodidakt gehört er zu einer Gattung von Künstlern, deren Persönlichkeit so weit jenseits aller Schulen steht, dass sie wie Kobolde durch die Kunstlandschaft heizen und freiwillig immer im Abseits landen, aber immer die Wahrheit verkörpern. Seine Welt ist voller Musik, Mythologie und Mythen, er selbst ein agiler Zarathustra der zwischen unserer und der „Anderen„ Welt vermittelt. Der Titel des Programms lautet dagegen: Staatsstreich in Humanity Parc. Le Hors Humain karikiert auch so profane Dinge wie verblödende TV-Spielshows.

    Der Humanist

    Farid Paya ist Theatermann iranischer Herkunft. Sein Theatre du Lierre (Efeu) liegt nahe der neuen Bibliotheque nationale und steht für recherche zwischen Theater, Gesang und Mime. Der Ort ist eng verbunden mit der Kompanie Theatre du Mouvement und beherbergt Veranstaltungen der Europäischen Netzwerkes Transversales, die die Beziehungen zwischen Körpertheater, Objekttheater, Clowns und Mime erforscht. Das Theatre du Lierre beherbergt auch eine Multikultigesangsschule die aus traditionellen Techniken aller Kontinente einen eigenen Stil entwickelt hat. Payas neues Werk heißt La Cantate rebelle. Das ist pantomimisches Musiktheater in einer Fantasiesprache. Und es wäre wohl besser gewesen, sie hätten sich voll auf den Gesang konzentriert. Denn das sind die Momente in denen die Kantate über ihre pathetische Grundton hinauswächst. Wunderbar sind die Kostüme und Masken der Akteure und lebensgroßen Puppen die an Kantor erinnern. Aus den Puppen – sie sind Personen die den Tod finden – erwächst Leben aus Licht und Weisheit.  Payas humanistisches Engagement steht dem des Hors Humain in nichts nach. Es geht um das Leben, das nach dem Menschenschlachten wieder sprießt. Die singenden Mimen durchleben die Nachwehen eines Krieges der noch in den Köpfen spukt. Erst später begrünt sich die Szene und ein neues Idyll entsteht. Szenario und Botschaft sind recht simpel („Ich habe den Weg des Lebens wiedergefunden„ – in sechs Sprachen). Allerdings ist diese Kantate ein generöser Gestus und eng mit den Ursprüngen des Theaters verbunden. Mehr noch: Sie ist eine elegante Lösung für ein Völkermord-Denkmal: nicht vom Schrecken selbst zu erzählen, sondern von dessen Überwindung. Paya ist Exil-Iraner und man kann sich denken warum er vor langer Zeit sein Land verließ. Er wird die Cantate rebelle international in solchen Ländern aufführen wo die Menschheit sich selbst besonderes Leid zugzefügt hat. Sein Traum: ein Auftritt unter dem Brandenburger Tor.

    Der Naturalist

    Er ist einfach wie er ist. Ein Stück Natur, ganz Farbe des okzitanischen Südens, etwas ungehobelt; authentisch und, mit Verlaub, ein Esel. Auf den singt er ein Loblied. Philippe Forcioli ist zwar kaum jemandem ein Begriff, da er sich weigert den Medienzirkus mitzumachen und den Kontakt mit der geliebten Natur aufzugeben. Aber auf CDs pressen läßt er sich und die bekommen meistens Preise. Zu Recht. Auch Forcioli gehört zu jenen Ausnahme-Persönlichkeiten, die sich als Autodidakten nie einer Denk- oder Kunstschule unterworfen haben. So hat Forcioli auch nicht die Stimmgewalt eine Jacques Brel. Wenn er seine Gitarre beiseite legt, dann schweigt auch der Bassist. Forcioli stellt er sich vor sein Publikum und singt beinahe flüsternd, zum Reiben der Hände sein Loblied auf die Freiheit im Kreislauf der Natur, auf das Vogelnest und die Flöte im Rosenbusch. Gesang und Poesie aus einer vergangenen Zeit, eine Oase in der Technik-Hektik. Jedes Wort und jede Geste seiner Körpersprache verraten daß ihm Regen, Frost und Sonne näher liegen als eine Bühne. Nie war er so wertvoll wie heute : ein Rohdiamant der am Schliff erlöschen würde. Es soll ja auch deutschsprachige Liebhaber der Chanson française geben. Und für die wäre ein Abend mit Forcioli eine Art Offenbarung. Zur Zeit sind zwei CDs von ihm erhältlich. Eine Neuerscheinung mit seinem Lobgesang auf den Esel und eine Best of.  Alle Informationen zu dem Barden und exklusiver Bezug seiner CDs über: Laure Cartillier – Agence Kaleidoskop, 37, rue du Capitaine Marchal, 75010 Paris, Tel 00 33 1 40 31 14 10 / 11 (Fax).

    Der Katalanist

    Aus Barcelona kommt Jordi Cortes Molina, ein Clown, Tänzer, Mime, Schau – und Puppenspieler. In ihm verbinden die Welten von Almodovar, Beckett und Woody Allen zu Texten u.a. von Peter Handke. Molina jongliert an der Grenze zum Wahn mit Motiven von Tod und Liebe, Verlust der Kindheit etc. Anfangs war Molina Interpret in Tanzkompanien wie Mudances und DV8. Heute ist er ein Poet des Körpertheaters und der condition humaine. Mat und Lucky heißen seine zwei 40-Minuten-Thriller. Solch apokalyptische, alle Genres vermischenden Perfomances können vielleicht nur in Barcelona entstehen. Auch bei ihm ist technisch nichts perfekt (außer dem Tanz), aber eigentlich suchen wir doch den Kontakt zu einer Persönlichkeit und Kommunikation. Und da ist er ein echter catalyst (Katalysator) – denn er spricht englisch wenn er – tanzend! – auf einem Stuhl kniet: I want to take off my skin / dance around my broken bones. Das Publikum war nicht zer- sondern hingerissen.

    Dazu noch die Nachricht daß eine Berühmtheit wie Haydee Alba, die vielleicht kreativste Tangointerpretin der Gegenwart und eine der Besten  und vielseitigsten Stimmen des Genres, einen Manager sucht, der ihr in Deutschland zu Auftritten in jenen Häusern verhilft, die ihrem Können angemessen sind. Haydee Alba, 17 avenue d’Italie, 75013 Paris. Fax  ++ 33 1 45 84 10 40

     

    Redaktion: Thomas Hahn

     

    2001-06-15 | Nr. 31 | Weitere Artikel von: Thomas Hahn





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