Die Bochumer FIDENA ist mit ihrem halben Jahrhundert Festivalgeschichte eines der ältesten Theaterfestivals in Deutschland und regelmäßig eine Plattform für herausragende Puppen- und Figurentheaterspieler aus aller Welt. 1958 veranstaltete Fritz Wortelmann, Gründer des Deutschen Instituts für Puppenspiel, unter dem Namen „Meister des Puppenspiels“ die ersten Bochumer Puppenspieltage. Gruppen aus der UdSSR, Frankreich und Deutschland präsentierten damals ihre Produktionen. Die internationale Ausrichtung des Festivals, das 1972 in „FIDENA – Figurentheater der Nationen“ umbenannt wurde, ist geblieben. Nicht nur für herausragende Produktionen im klassischen Puppentheaterbereich, sondern besonders für neue Entwicklungen des Figurentheaters in Richtung visuelles Bilder- und Objekttheater bis hin zur medialen Performance und Grenzgängen zum Tanz oder zum Schauspiel ist das Festival seit Langem ein wichtiges Forum. Vom 12. bis 20. September 2008 wurde Bochum wieder zum internationalen Treffpunkt für außergewöhnliches Puppen-, Figuren- und Objekttheater. Zum 50-jährigen Jubiläum präsentierte die FIDENA 35 Vorstellungen an verschiedenen Bochumer Spielstätten (Schauspielhaus, Museum, prinz regent theater, Thealozzi) sowie bei PACT Zollverein in Essen. Künstler aus aller Welt waren mit herausragenden Aufführungen zu Gast, zeigten aktuelle Inszenierungen und ungewöhnliche Theaterformen, darunter elf deutsche Erstaufführungen und drei von der FIDENA koproduzierte Uraufführungen. Zusätzlich zu den 23 Vorstellungen für Erwachsene gab es zwölf Vorstellungen für Kinder, zum Beispiel „Der Räuber Hotzenplotz“ von Showcase Beat Le Mot (D). Mit dem Quartett von Showcase Beat Le Mot aus Hamburg bekam die Geschichte des Räubers eine völlig neue Dimension: mit Rap- und Reggae-Musik sowie Zaubereinlagen, vorgefertigten Videoschnipseln und raffiniert halb verdeckten Tanzeinlagen hinter einer Jalousie.
Eine Uraufführung erlebte das Festivalpublikum mit „Cuniculus – Eine Menschwerdung“ des Stuffed Puppet Theatre aus den Niederlanden. Neville Tranter, der Meister des leicht grausigen und tiefgründigen Puppenspiels, zeigte in englischer Sprache ein Stück über das Leben in Angst vor der grausigen Wirklichkeit. Und wer könnte besser ein solches Leben darstellen, als eine Gruppe „Angsthasen“ in einer Erdhöhle, darunter ein Mensch (gespielt von Neville Tranter), der sich für einen Hasen hält. Die Bewohner der Erdhöhle trauen sich nicht, das Tageslicht zu erblicken, sondern werden nur von einer Häsin ernährt, die stets mit furchtbaren Wunden von ihren Futtergängen zurückkehrt. Über der Hasenhöhle tobt ein Krieg – ab und zu dringen die Kriegsgeräusche der Oberwelt in den Hasenbau. Eines Tages muss sich der Mensch entscheiden: an die Oberfläche gehen oder weiter vor sich hin vegetieren? Tranter möchte in seinem Stück dazu ermutigen, sich nicht zu verstecken, sich nicht zurückzuziehen, nicht passiv zu sein – sondern sich dem Leben mit all seinen Schwierigkeiten zu stellen. Die ängstlichen Hasen im Bau, der ängstliche Mensch im Krieg und die Angst, die für all das Elend und die Not verantwortlich ist und uns daran hindert, das Richtige zu tun. Sie ist der größte Feind, den es zu überwinden gilt – ein geniales Stück über die fatalistische Passivität! Fans des Stuffed Puppet Theatre werden auch in dieser Inszenierung nicht enttäuscht, von der beispiellosen Kreativität in Tranters Figurenbau und der gewohnt eigensinnigen und schonungslosen Direktheit seiner Erzählung. Nichts endet in einem Happy End – das gute Ende muss sich der Zuschauer (wie auch im Leben) selbst erarbeiten. Ganz im Sinne des Künstlers, der sein Publikum aufrütteln möchte.
AdNr:1087